[:de]Auch in Dortmund kam es zu bemerkenswerten Zwischenfällen.
Der Polizeibericht meldet: Bei einer Wohnungsräumung in der Lessingstraße am Donnerstag Vormittag kam es zu wüsten Zwischenfällen, so daß wiederholt die Polizei einschreiten musste. Der Gerichtsvollzieher musste zunächst die Polizei herbeirufen, weil sich eine große Menge Kommunisten eingefunden hatte und die Wohnungsräumung verhindern wollte. Beim Eintreffen der Beamten hatten Leute aus der Menge einige Sachen, die der Gerichtsvollzieher im Auftrage des Hausbesitzers gleichzeitig gepfändet hatte, bereits fortgeschafft. Ferner wurde versucht, das Pferd vor dem Möbelfuhrwerk auszuspannen, was die Polizeibeamten aber verhindern konnten.
Inzwischen war die Menschenmenge auf mehrere hundert Personen angewachsen, die eine drohende Haltung gegen die Beamten einnahmen. Das Überfallkommando mußte herbeigerufen werden, um Straße zu räumen. Im Hausflur waren einige Männer über den Gehilfen des Gerichtsvollziehers hergefallen und hatten ihn mit Faustschlägen traktiert. Noch ehe die Polizeibeamten zugreifen konnten, waren diese Täter im Gewühl verschwunden. Vor dem Geschäft des Metzgermeisters K. In der Schützenstraße, dem das Haus in der Lessingstraße, in dem die Wohnungsräumung stattfand, gehört, hatte sich ebenfalls eine größere Menge angesammelt. Die Menge forderte von K. Die Herausgabe der gepfändeten Sachen. Auch hier musste wieder ein Überfallkommando herbeigerufen werden. Inzwischen hatte sich der Metzgermeister K. Mit seiner Mieterinn aus der Lessingstraße auf gütlichem Wege geeinigt. Die gepfändeten Möbel wurden wieder zurück gegeben und in die geräumte Wohnung gebracht. Die Menge gab aber immer noch keine Ruhe. Die Wut gegen Metzgermeister K. War so groß, daß gegen 19.00 Uhr wieder eine größere Menschenmenge vor sein Geschäft in die Schützenstraße zog und dort Käufer daran hinderte, den Laden zu betreten. Zum dritten male musste ein Überfallkommando alarmiert werden, daß ruhe und Ordnung endgültig wieder herstellte.
Dortmunder Rundschau, 3. September 1932
Dortmund: Die Schlacht am Nordmarkt (von Kurt Piehl)
Bornstraße
„Räumt auf mit dem roten Mordgesindel!“ hetzte jemand auf der Straße. Die Stimme kam von links, von der Bornstraße her. Da hatten die Nazis wohl ihre Etappe. Den Kämpfern in der vordersten Linie war die Lust zum Schreien inzwischen vergangen. Sie hüpften wie besessen herum, um den gefährlichen und unappetitlichen Wurfgeschossen zu entgehen. Einige Leute hatten einfach ihre Nachtgeschirre durch die Fenster entleert.
Mittlerweile hatte auch Opa Vogt den 8. und letzten Blumentopf heruntergeschleudert . „Jetzt komm ich selbst und reiß euch den Arsch auf, drohte er. Ich sah den alten Mann plötzlich auf der Fensterbank knien. Er wollte sich wie ein Kamikazeflieger auf die Feinde stürzen. Meine Großmutter riss das Fenster auf und schrie: „Zurück, verrückter Kerl!“ Dann hielt sie sich die Augen zu, um das Unglück nicht mitansehen zu müssen. Oma Vogt hatte aber schon eingegriffen. Sie umschlang ihn mit beiden Armen und zog ihn energisch zurück. Solcher Gewalt war der alte Mann nicht mehr gewachsen. Murrend stellte er die Feindseligkeiten ein.
„Wenn der olle Knopp Nazis sieht, wird er jedesmal verrückt“. rief Oma Vogt erklärend über die Straße. „Da kann man aber nix bei machen. Gleich is‘ er wieder krank und ich hab die Last mit ihm“. Dann fügte sie bedauernd hinzu: „Und meine Blumen sind auch alle weg“. Die SA-Leute auf der Straße wurden von ihr gar nicht beachtet. Die waren Ungeziefer für sie – lästig und ekelhaft, aber nicht sonderlich interessant.
Opa Vogt war ein alter, kranker Mann. Seine Zukunft lag längst hinter ihm. Eigentlich lebte er nur noch, weil er das Sterben vergessen hatte. Aber heute war er ein Held, ein furchtloser Kämpfer, der sich ohne Zögern dem Feind entgegengestellt hatte. Die Niederlage der Nazis war auch sein Verdienst. Allerdings – noch war es nicht so weit.
Der Kampf auf der Straße war in eine neue Phase getreten. Er war härter geworden. Vereinzelt flogen noch Steine und Flaschen. Geschrien wurde gar nicht mehr, nur noch geschossen. Schreie verraten dem Gegner die eigene Position. Der Naziangriff war in der unteren Holsteinerstraße zum Stillstand gekommen. Die Angreifer suchten in den Hauseingängen Deckung. Dabei mussten sie damit rechnen, aus den Häusern der jeweils anderen Straßenseite“ beworfen oder beschossen zu werden. Das war keine Straßenkeilerei mehr, das war Krieg. Das war die schrecklichste Form des Krieges – der Straßen- und Häuserkampf. Und die Nazis saßen in der Falle.
Nach dem anfänglichen Überraschungserfolg der SA hatten sich die „Jungs aus dem Norden“ formiert. Ihre Verteidigungslinie war der Bahndamm an der Gronaustraße. Aus dieser günstigen Position konnten sie alle Angriffe zurückschlagen. Schusswaffen gab es auf beiden Seiten; nicht nur Faustfeuerwaffen, auch Karabiner – Mitbringsel aus dem (1.) Weltkrieg. SA-Leute, die sich zu weit vorgewagt hatten, saßen fest. Sobald sie angreifen oder fliehen wollten, gerieten sie in die Schusslinie.
Ob und wie weit sich auch die Schupo (Schutzpolizei) an dem Kampf beteiligte, ließ sich aus meiner eigenen strategischen Position“ nicht feststellen. Ich saß nämlich mit meiner Großmutter unter der Fensterbrüstung – in voller Deckung. Dort hatten wir Angst und sonst gar nichts.
„Neuen Arbeiterpresse“ von 15.07.1982 (?) die Geschichte über die „Schlacht am Nordmarkt“ am 16. Oktober 1932, die Kurt Piehl anlässlich eines Geschichtsausschreibens schrieb.[:]